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“Wir sehen derzeit Nachfrage aus der Wohnungswirtschaft und öffentlichen Gebäuden”

Michael Seeberg: Frau von Hagel, Herr Brunkhorst, schön, dass wir heute beim viel diskutierten Thema ESG konkret werden – und zwar wie nun die praktische Umsetzung funktionieren kann für den einzelnen Immobilieninvestor oder Projektentwickler. Deswegen freue ich mich sehr, dass wir mit Ihnen beiden profunde Kenner und Berater für ein Gespräch gewinnen konnten. Welche Rolle spielen ESG-Kriterien bereits heute bei der Planung und Umsetzung?

Rolf Brunkhorst: Das „E“ und das „S“ in ESG bedingen einander, denn es geht ja um die Anpassbarkeit von Gebäuden an sich im Lebenszyklus ändernde Bedürfnisse und Anforderungen, darum, wie Menschen wohnen und arbeiten wollen, um Nachbarschaft und Gemeinschaft, Gesundheit, aber auch um Lieferketten im Baugewerbe.

Michael Seeberg: Ihr Unternehmen heißt “Circular Building”, wie tragen Sie mit Ihrem Unternehmen dazu bei, dass Gebäude nachhaltiger gebaut werden?

Rolf Brunkhorst: Nachhaltigkeit ist mittlerweile von sehr vielen Staaten als ein wesentliches Ziel unterschrieben worden. Mit der EU Taxonomie der Sustainable Finance Strategie wurde eine Kriterienkatalog definiert, der umzusetzen ist, wenn man nachhaltig investieren möchte. Dabei stand bisher der Klimaschutz im Vordergrund. Die Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) und andere Handlungsfelder sind noch in Erarbeitung. Genau hier setzen wir an und entwickeln mit unseren Kunden und Partnern umsetzungsorientierte Konzepte, die die gesamte Liegenschaft über den Lebenszyklus umfassen.

Michael Seeberg: Welche Arten von Bauprojekten begleiten Sie genau?

Annette von Hagel: Wir sehen derzeit vor allem Nachfrage aus der Wohnungswirtschaft und bei öffentlichen Gebäuden. Ausschreibungen und Wettbewerbe berücksichtigen noch nicht ausreichend Fragen der Nachhaltigkeit, des Lebenszyklus und der Digitalisierung. Wettbewerbe offenbaren vielfach dabei ein Dilemma: noch nicht alle teilnehmenden Architekten können Lebenszyklusbetrachtung, nachhaltiges Bauen und digitales Planen wie mit BIM – sollen diese Architekten dann etwa von Wettbewerben ausgeschlossen werden zu Lasten der Kreativität?

Michael Seeberg: Ich denke, die Chancen und Herausforderungen im nachhaltigen Bauen stellen höchste Anforderungen an die Kreativität. Aber hier kann man ja auch zusammenarbeiten und sich ergänzen – Architekten und Berater wie Circular Building zum Beispiel. Könnten Sie uns das Angebot von Circular Building einmal näherbringen?

Annette von Hagel: Wir sind keine planenden Architekten oder Projektentwickler – wir sind Berater für strategische, langfristige Konzepte in der Bau- und Immobilienbranche und vernetzt mit Politik, Wissenschaft und Behörden. Denn auf die Branche kommen mit den genannten Zukunftsaspekten rund um die Nachhaltigkeit auch komplexe Regelwerke zu.

"Langfristige Planung umfasst Fragen, wie die Gebäude im Alltag genutzt werden, welche nachhaltigen Alternativen zu Materialien und Produkten gibt es, wie die Logistik auf der Baustelle, am und im Gebäude organisiert werden muss, damit später ein Austausch von Materialien oder ein Umbau für eine Nutzungsänderung erfolgen kann."

Annette von Hagel, geschäftsführende Gesellschafterin von Circular Building

Rolf Brunkhorst: Gebäude sind Bestandteil von nationalen und EU Regularien wie der erwähnten Taxonomie mit Energieeffizienz und CO2 Emissionen. Und es gibt zahlreiche Zertifikate wie DGNB, BNB oder LEED, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten definieren, was ein nachhaltiges Gebäude ausmacht. Die Materialität ist dabei nur teilweise berücksichtigt, wird es aber im Zuge der Circular Economy deutlich stärker in der Fokus kommen.

Michael Seeberg: Was muss man bei der nachhaltigen Bauweise alles berücksichtigen

Annette von Hagel: Vor allem sollte man erst planen – und zwar langfristig – und dann bauen. Und langfristige Planung umfasst Fragen, wie die Gebäude im Alltag genutzt werden, welche nachhaltigen Alternativen zu Materialien und Produkten gibt es, wie muss die Logistik auf der Baustelle, am und im Gebäude organisiert werden, wie kann später ein Austausch von Materialien oder ein Umbau für eine Nutzungsänderung erfolgen? Welche digitalen Lösungen für eine aussagefähige Dokumentation sind langfristig verfügbar und lesbar?

Michael Seeberg: Erhöht dies nicht alles deutlich die Kosten einer Sanierung oder eines Neubaus?

Annette von Hagel: Es gibt Studien von Versicherungen, vom Fraunhofer Institut, der TU Weimar, die klar belegen: Rund 15% der Baukosten entstehen durch Bauschäden, 7 bis 10% des Baumaterials werden durch schlechte oder mangelhafte Logistik, durch falsche Planung, durch nicht ineinander greifende Prozesse vor dem Einbau schon wieder ausgetauscht oder ungenutzt entsorgt – im Vergleich dazu sind anfänglich höhere Ingenieurs- und Planungsleistungen betragsmäßig deutlich niedriger.

Das wäre schon ohne die Auswirkungen des Klimawandels ein dringlicher Anreiz zu nachhaltigerer Gebäudegestaltung, allerdings müssen wir auch auf die zunehmende Hitze und Starkregenereignisse in Städten Antworten in der Immobilienwirtschaft finden.

Michael Seeberg: Wie können Projektentwickler sicherstellen, dass sie ihr Produkt erfolgreich an ESG-orientierte Investoren verkaufen können?

Rolf Brunkhorst: Den Nutzen für den Bauherrn, den Investor im Fokus zu haben, sollte ohnehin das Kerngeschäft eines Projektentwicklers sein. Dazu gehören zukünftig die Anforderungen, die sich aus Klimaschutzzielen, Energieeffizienz und Kreislaufwirtschaft ergeben – Dokumentieren, Messe, Reparieren, Rückbau, Recycling gleich mitzudenken.

Annette von Hagel: Während der Planungs- und Bauphase sollten unbedingt auch die späteren Nutzer und Betreiber mit ins Boot geholt werden – sie können aus ihrer Erfahrung dann schon sagen, was die ersten drei Jahre funktioniert und was später Umbau – oder Reparaturaufwand auslöst.

Michael Seeberg: Wie wird nachhaltige Bauweise am Ende wirklich messbar? Rentiert sich die energieeffiziente Bauweise wirklich langfristig? Was ist Ihre Erfahrung?

Rolf Brunkhorst: Der Schlüssel dazu ist die zielorientierte Erfüllung von Kriterien, die Überprüfung durch Zertifizierungssysteme, das Monitoring im Betrieb inklusive der Sensorik und Messung von Energieverbrauch, Luftqualität, Wärme, Lichtverschmutzung, Lärmbelastung usw., und auch die Kenntnis darüber, wo welche Materialien eingesetzt wurden und wie diese ausgetauscht und recycelt werden können. Die Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien werden vermehrt in der Gebäudebewertung positive Berücksichtigung finden – eine Nichteinhaltung sind mit Risiken verbunden.

Annette von Hagel: Wenn man sich anschaut, wie zum Beispiel im Hotelgewerbe Nachhaltigkeit in die Bewertung von Hotels einfließt, dann ist die Antwort klar Ja, es rentiert sich. Wir verzeichnen ein weithin höheres Gesundheitsbedürfnis der Menschen – sowohl im Wohnen, im Büro, im Tourismus.

Michael Seeberg: Wo geht die weitere Entwicklung hin? Wie kann man ESG erfolgreich umsetzen. 

Annette von Hagel: Es gibt sicher Immobilienbestand, der auch komplett saniert hinsichtlich seiner Lage nicht attraktiver wird. Aber in unseren Innenstädten und Fußgängerzonen, die vielfach veröden, brauchen wir mehr Durchmischung und neue Ideen. Die Aufhitzung der Städte setzt eine Grenze für die Nachdichtung und traditionellen und neue Mobilitätskonzepte müssen in den Städten nebeneinander und miteinander verzahnt funktionieren.

Rolf Brunkhorst: Die EU Taxonomie für Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft wird europaweit einen riesigen Bedarf an Investition und Finanzierung, aber auch eine große Nachfrage von Investoren und Finanzierern. Die Kreislaufwirtschaft in der Bauwirtschaft und in der Immobilienbranche wird den Rohstoffbedarf und die Abhängigkeit von Rohstoffen reduzieren und damit auch hoffentlich Preisausschläge, wie wir sie zuletzt gesehen haben, dämpfen.

Michael Seeberg: Und wie steht es um die Digitalisierung? Wir haben schon einiges vom “digitalen Gebäude” gehört…

Annette von Hagel: Der digitale Zwilling wird kommen und wird gebraucht – von der Planung, über den Bau und den Betrieb bis zu Umbau, Umnutzung und dem Rückbau. Für neue Gebäude ist dies einfacher, im Bestand wird das schwieriger vollständig umzusetzen, aber ebenso notwendig.

Michael Seeberg: Liebe Frau von Hagel, lieber Herr Brunkhorst, vielen Dank für das spannende Gespräch. 

Mehr Informationen zu Circular Building erhalten Sie hier: circular-eu.com